Capoeira als Lebensweise

Diesen Artikel teilen:
Capoeira als Lebensweise: Prinzipien, die unseren Weg leiten
von Mestre Ligeirinho
Capoeira beschränkt sich nicht auf die Trainingsstunden und endet nicht, wenn die roda geschlossen wird. Es ist eine Lebenshaltung, ein Rahmen von Charakter und Verhalten. Wer diesen Weg wählt, muss verstehen, dass Capoeira ihm auch außerhalb des Spielraums folgt. Als Mestre möchte ich meinen Schülern vor allem vermitteln, dass Capoeira nicht nur Körper und Technik aufbaut, sondern eine Denkweise und ein ethisches Fundament.
Die erste Lehre, die man durch Capoeira erhält, ist Flexibilität. Die ginga ist nicht nur die Grundlage der Kunst, sie ist die Art, wie wir lernen, auf das Leben zu reagieren: nicht zu erstarren, Veränderungen nicht zu fürchten, sich mit Bewusstsein zu bewegen. Stärke liegt nicht im Konflikt, sondern im Fluss, in der Fähigkeit, die Richtung zu ändern, ohne sich selbst zu verlieren. Das ist es, was jeder Schüler verstehen soll: Die wahre Stärke eines Capoeiristas zeigt sich darin, wie er mit Schwierigkeiten umgeht, nicht nur darin, was er mit seinem Körper leisten kann.
Das jogo ist kein Kampf; es ist ein Dialog. Viele verwechseln es und glauben, Capoeira sei ein Wettkampf. So ist es nicht. Die roda ist ein Ort der Begegnung, kein Ort des Sieges. Es zählt nicht, wer beeindruckender war, sondern wer sauber, abgestimmt und respektvoll gespielt hat. Ein guter Capoeirista versucht nicht, sich durchzusetzen, sondern zu kommunizieren. Das ist eine der wichtigsten Lektionen für das tägliche Leben.
In der Capoeira kann man sich nicht verstecken. Die Art, wie du dich bewegst, offenbart die Art, wie du denkst. Wenn du Angst hast, verkleinerst du deinen Raum. Wenn du dich beeilst, lässt du Lücken. Wenn du arrogant bist, wird dein Spiel starr. Wenn du Bewusstsein hast, wird die Bewegung klar und wahrhaftig. Dieses Selbstwissen entsteht aus der Beobachtung des Körpers und des Spiels — aus kleinen Details, die den Charakter zeigen, bevor ein einziges Wort gesprochen wird.
Schließlich lehrt Capoeira, dass Gemeinschaft Verantwortung ist. Die roda ist nicht nur ein Ort des Ausdrucks; sie ist ein Ort von Werten. Jeder betritt sie und bringt etwas für das Ganze mit: Rhythmus, Präsenz, Respekt, Unterstützung. Capoeira existiert nicht ohne den Kreis, und der Kreis existiert nicht ohne Menschen, die nicht nur auf ihr eigenes Spiel achten, sondern auch auf die Energie um sie herum. Die Gemeinschaft braucht alle — die Erfahrenen, die Anfänger, die Schnellen, die Beständigen. Ein Capoeirista spielt niemals nur für sich selbst; er spielt auch für die roda, die ihn beherbergt.
Capoeira als Lebensweise bedeutet Rhythmus, Respekt und Präsenz. Rhythmus, um sich flexibel zu bewegen, Respekt, um Beziehungen aufzubauen statt Konflikte zu erzeugen, Präsenz, um wirklich im jogo und im Leben zu sein. Das sind die Prinzipien, die wir weitergeben müssen, denn ein Capoeirista zeichnet sich nicht durch seine Bewegungen aus, sondern durch die Art, wie er in der Welt steht.